Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


Eingangsseite

Aktuelle Informationen

Jahrestagungen von Alemannia Judaica

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft

Jüdische Friedhöfe 

(Frühere und bestehende) Synagogen

Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale in der Region

Bestehende jüdische Gemeinden in der Region

Jüdische Museen

FORSCHUNGS-
PROJEKTE

Literatur und Presseartikel

Adressliste

Digitale Postkarten

Links

 

  
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"  
zu den Synagogen in Baden-Württemberg  
   
    

Winterlingen (Zollernalbkreis)
 Jüdische Geschichte 
Besonderheit: Winterlingen hat eine Gemeindepartnerschaft mit Izbica/Polen, wohin tausende jüdischer Personen aus Deutschland in der NS-Zeit deportiert wurden
  

Übersicht:  

bulletZur jüdischen Geschichte in Winterlingen 
bulletBerichte aus der jüdischen Geschichte in Winterlingen   
bulletFotos / Darstellungen   
bullet Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte 
bulletLinks und Literatur   

   

Zur jüdischen Geschichte in Winterlingen           
     
In Winterlingen gab es zu keiner Zeit eine jüdische Gemeinde. Bei den Volkszählungen wurden seit 1871 zwar einzelne jüdische Personen in Winterlingen festgestellt: 1871 und 1875 je eine Person. 1880 und 1885 je zwei Personen, 1890 und 1895 jeweils keine Personen und 1900 wieder zwei Personen, danach erst wieder 1933 eine Person (siehe unten). Doch kann es sich bei diesen zwischen 1871 und 1900 festgestellten Personen auch um bei den Volkszählungen zufällig ortsanwesende und nicht unbedingt um ortsansässige Personen gehandelt haben.     
    
Bei der 1933 festgestellten Person handelte es sich Selma Burkart geb. Muschel, die Frau des praktischen Arztes Dr. med. Emil Burkart (katholische Konfessionszugehörigkeit) in Winterlingen. Dr. Burkart (geb. 9. Mai 1884 in Rieslingen) war als Arzt am Ort von 1928 bis 1954.
 
Selma Burkart geb. Muschel ist geboren am 17. April 1885 in Löwen/Brieg/Schlesien (heute: Lewin Brzeski siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Lewin_Brzeski). Sie war eine Tochter von Leo Muschel (Kantor um 1913 in Cosel/Schlesien, Link, danach in Breslau) und seiner Frau Auguste geb. Kretschmer. Von Beruf war Selma Burkart Krankenschwester. Als solche war sie auch im Kriegseinsatz in der Zeit des Ersten Weltkrieges tätig, wofür ihr das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen wurde. 1914 heiratete sie Dr. Emil Burkart.     
 
In der NS-Zeit rief die NS-Presse 1935 zum Boykott der Praxis von Dr. Burkart auf. Dr. Burkart
wurde daraufhin von vielen Einwohnern gemieden und angefeindet. Unter dem Druck von massiven Drohungen seitens der örtlichen NSDAP verließ Selma Burkart kurz vor dem Novemberpogrom 1938 Winterlingen und zog zu ihren Eltern und Geschwistern nach Breslau. Dort wurde sie am 9. April 1942 verhaftet und am 13. April vom Breslauer Bahnhof Obertor nach Izbica deportiert (Deportationszug Breslau-Izbica vgl. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_sln_420413.html). Ihr letztes Lebenszeichen ist eine von ihr geschriebene Postkarte mit Datum vom 24. April 1942 aus Izbica. Vermutlich wurde sie wenig später ermordet (noch in Izbica oder in Sobibor oder Belzec). Laut Eintrag im Familienregister Winterlingen (Band VII Blatt 42) wurde sie vom Amtsgericht Balingen (Beschluss vom 7. November 1948) für tot erklärt. Als Todestag wurde gerichtlich der 31. Dezember 1944 festgelegt.
 
Dr. Burkart hat sich nach dem Krieg wieder verheiratet. Er starb 1957.
Ergänzender Hinweis: Dr. Burkart war Sammler von Laufkäfern (Carabiden). Seine Sammlung von rund 9.000 Tieren kam 1955 an das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart. Vgl. Wolfgang Schawaller: "Zur Geschichte (1860-2015) der Käfersammlung im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart". S. 97.114 Beitrag online eingestellt (pdf-Datei).  
  
Anfang Juli 2020 wurden vor dem Wohnhaus von Dr. Emil Burkart und seiner Frau Selma zwei "Stolpersteine" verlegt. Zugleich wurde am Haus eine Gedenktafel in deutscher und polnischer Sprache angebracht.    

   
   

   
Fotos/Abbildungen   

   
 In der NS-Publiktion zum Boykott jüdischer Geschäfte von 1935 "Deutscher - kaufe nicht beim Juden! - wird auch zum Boykott der Praxis von Dr. Burkart aufgerufen Ausweis von Selma Burkart
(Quelle: Gemeinde Winterlingen) 
 
 Gedenkblatt Yad Vashem Jerusalem für
Selma Burkart - erstellt von Heiner Schuler
   

    
   
 
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte       

Seit 1997: Heiner Schuler erforscht die Geschichte von Selma Burkart geb. Muschel
Heiner Schule hat die Geschichte von Selma Burkart geb. Muschel in fast 20-jähriger Arbeit aufgearbeitet und ihre Lebensstationen besucht. Das Ergebnis seiner Recherche hat er in einer 160-seitigen Dokumentation zusammengefasst, die er dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau zu Verfügung gestellt hat. 
 
Seit 1999/2000: Schüleraustausch zwischen Winterlingen und Izbica -
Seit 2008
: Gemeindepartnerschaft zwischen Winterlingen und Izbica   
Dazu Informationen aus der Seite der Website von Winterlingen https://www.winterlingen.de/,Lde/2005526.html: "Die Entstehungsgeschichte
Die Nachforschungen um das Schicksal der Winterlinger Bürgerin Selma Burkart geb. Muschel, Ehefrau jüdischen Glaubens des von 1929 bis 1954 ortsansässigen Arztes Dr. med. Emil Burkart führten den heimatkundlich interessierten Gemeinderat Heinrich Schuler erstmals 1997 unter anderem auch für mehrere Tage in den im Südosten von Polen gelegenen Ort Izbica/Lublin. Aus diesem Ort stammt das letzte Lebenszeichen von Selma Burkart, eine handschriftlich von ihr geschriebene Postkarte mit Datum vom 24. April 1942. Wegen seiner jüdischen Ehefrau wurde Dr. Burkart als Arzt von den Ortsansässigen zunehmend gemieden und teils angefeindet. Letztlich sah sich Selma Burkart unter dem Druck von massiven Drohungen seitens der örtlichen NSDAP gegen ihre Person gezwungen, Winterlingen - die Eheleute dachten für eine kurze Zeit - zu verlassen. Sie verzog zu ihren in Breslau wohnhaften Geschwistern. Am 09. April 1942 erging an Selma Burkart die schriftliche Aufforderung, sich 'zum Transport nach dem Osten' zu stellen. Unmittelbar danach wurde sie nach Izbica deportiert.
Während der Dauer seines dortigen Aufenthalts war Heinrich Schuler in der Familie von Frau Anna Mrozek, Deutschlehrerin am Lyzeum Izbica-Tarnogora zu Gast. Es ergaben sich Kontakte zum Direktor des Lyzeums, Herrn Jozef Grzesiuk und zum Bürgermeister der Gemeinde Izbica, Herrn Jerzy Babiarz. Heinrich Schuler brachte von seiner Reise nach Izbica auch eine Einladung von Herrn Direktor Jozef Grzesiuk an die Realschule Winterlingen mit. Vom 27.07. - 31.07.1999 fuhren Herr Realschulrektor Gustav Kleiner, Frau Realschullehrerin Karin Czirr, Herr Realschullehrer Karl-Otto Gauggel, Herr Realschullehrer Peter Kastner und Heinrich Schuler nach Izbica und besuchten das dortige Lyzeum. Ein sehr freundlicher und herzlicher Empfang wurde den Gästen bereitet. Bereits in den ersten Gesprächen war ein beidseitig harmonisches, von gegenseitigem Vertrauen geprägtes Wohlwollen und Verständnis füreinander zu spüren. Daraus entwickelte sich der Gedanke eines Schüleraustausches. Es reifte der Entschluss, dies zu versuchen. Herr Realschullehrer Karl-Otto Gauggel war von der Idee begeistert. Mit nachhaltiger Unterstützung von Realschulrektor Gustav Kleiner setzte er sich fortan zum Ziel, einen ersten Schüleraustausch, eine Fahrt mit Schülerinnen und Schüler seiner Klasse nach Izbica zum Besuch der Schülerinnen und Schüler des Lyzeums Izbica-Tarnogora zu organisieren und durch zu führen. Nachdem die Elternvertretung dem Vorhaben zugestimmt hatte, war der Grundstein gelegt. Bereits im Jahr 2000 erfolgte der erste Schüleraustausch. 8 Realschüler fuhren zusammen mit Karl-Otto Gauggel und Frau Realschulkonrektorin Ellen Wiehl nach Izbica. Regelmäßig jährlich wechselseitig wiederkehrende Begegnungen folgten. Im Juni 2009 konnte der 10. Austausch von Schülerinnen und Schüler der beiden Schulen in Izbica gefeiert werden. Dass dies möglich war ist ganz besonders dem herausragenden Engagement von Herrn Realschullehrer Karl-Otto Gauggel zu verdanken, der bisher alle Austauschfahrten geplant, durchgeführt und sie als Lehrer begleitet hat. Tatkräftige Unterstützung hat er dabei von Frau Realschullehrerin Elfriede Oswald erfahren, die als weitere begleitende Lehrerin mit in Izbica war.
 
Die Gemeindepartnerschaft. Frau Bürgermeisterin Gabriele Schlee hatte bereits von Beginn ihrer Amtszeit an den grundsätzlichen Gedanken, dem Gemeinderat vorzuschlagen, mit einer geeigneten Auslandsgemeinde eine Partnerschaft einzugehen. Nachdem Jerzy Babiarz, Bürgermeister der Gemeinde Izbica wiederholt und zuletzt im April 2007 über Heinrich Schuler eine Einladung an seine Bürgermeisterkollegin in Winterlingen hat überbringen lassen, Izbica mit einer Delegation zu besuchen und den Wunsch einer Gemeindepartnerschaft äußerte, waren es die sehr guten und positiven Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler, wie auch die der Lehrerinnen und Lehrer aus dem Schüleraustausch, welche im Kern Pate dafür gestanden sind, dass Frau Bürgermeisterin Gabriele Schlee die Einladung ihres Kollegen angenommen hat. Sie sprach ihrerseits sodann eine Einladung an Bürgermeister Jerzy Babiarz aus, nach Winterlingen zu kommen. Hernach - so der weitere Gedanke - sollten beide Seiten unter anderem auch aufgrund der vor Ort gemachten Eindrücke und Erfahrungen überlegen, ob eine Gemeindepartnerschaft angestrebt werden soll. In der Zeit vom 06.07. bis 11.07.2007 besuchte eine offizielle Delegation aus Izbica die Gemeinde Winterlingen. Zwei Monate später, vom 12.09. bis 17.09.2007, erfolgte ein Gegenbesuch einer Delegation der Gemeinde Winterlingen in Izbica. Kurze Zeit danach hat der Bürgermeister der Gemeinde Izbica offiziell mitgeteilt, dass der Gemeinderat beschlossen habe, mit der Gemeinde Winterlingen gerne eine Partnerschaft eingehen zu wollen. Nachdem der Gemeinderat Winterlingen ebenfalls seine Zustimmung gegeben hat, wurde der Text der Partnerschaftsurkunde beraten und in Abstimmung mit der Gemeinde Izbica beschlossen.
Im August 2008 war es dann soweit. Eine offizielle Delegation der Gemeinde Winterlingen war vom 20.08. bis 25.08.2008 Gast in der Gemeinde Izbica. Anlässlich des in Izbica traditionellen Erntedankfestes wurde am 24.08.2008 in einem sehr festlichen Rahmen in Anwesenheit von Landrat Szpak, überregionalen Politikern, geistlichen Würdenträgern der Katholischen Kirche und viel beachtet von der Presse, von Bürgermeister Jeryz Babiarz und Bürgermeisterin Gabriele Schlee die Partnerschaftsurkunde unterzeichnet. Zusammen mit seinen polnischen Amtsbrüdern gestaltete unser Pfarrer Peter Altenstetter den unter freiem Himmel abgehaltenen, von einer überaus großen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde Izbica besuchten Festgottesdienst mit.
Einen außerordentlichen Höhepunkt erreichte die Partnerschaft am 01. Dezember 2013. Der 1. Bürgermeisterstellvertreter der Gemeinde Winterlingen, Heinrich Schuler, erhielt eine besondere Ehrung. Er ist nach dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, dem früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments Hans-Gert Pöttering und der SPS-Politikerin Gesine Schwan der vierte Deutsche, der den Award 'Edle Tat' der polnischen Stiftung 'Zacny Uczynek' erhielt. Der Festakt fand am 30. November 2013 vor zahlreichen Ehrengästen aus Politik und Gesellschaft im Hotel Royal Le Meridien Bristol in Warschau statt. Stellvertretend für die Jury des 'Edle Tat' Preises überreichte der ehemalige polnische Außen- und Wirtschaftsminister Professor Dr. Andrezej Olechowski Heinrich Schuler die Auszeichnung.
Der Journalist und Stiftungsvorsitzende Roman Zelazny würdigte in seiner Laudatio Schulers Einsatz für die deutsch-polnische Aussöhnung und den Ausbau der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Winterlingen und seiner südostpolnischen Partnergemeinde Izbica. Der Stiftungsvorsitzende hob hervor, dass beide Gemeinden die Partnerschaft im Bewusstsein der Geschichte eingegangen sind. Fast alle jüdischen Bürger, die vor dem Krieg 90 Prozent der Einwohner in Izbica ausmachten, seien vom NS-Regime ermordet oder deportiert und in Konzentrationslagern vernichtet worden.
Winterlingen und Izbica hätten aus der tragischen Geschichte gelernt. Dank der gemeinsamen Bemühungen sei das Gedächtnis an die Juden nach Izbica zurückgebracht worden. Die Partnerschaft habe aber nicht nur geholfen, das Trauma des Holocausts zu überwinden, sondern auch viele der seit Jahrzehnten zwischen Deutschen und Polen bestehenden Ressentiments und Stereotypen zu beseitigen.
Neben Heinrich Schuler ehrte die Jury um Friedensnobelpreisträger Lech Walesa auch die polnische Europaabgeordnete Professor Dr. Lena Kolarska-Bobinska sowie den römisch-katholischen Theologen und emeritierten Bischof von Oppeln Alfons Nossol, der sowohl die polnische und deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und ebenfalls als Brückenbau zwischen Polen und Deutschland gilt.
Heinrich Schuler dankte allen Freunden und Wegbegleitern, die ihn in seiner Herzensangelegenheit unterstützten. Ein besonderer Dank galt insbesondere aber seiner Familie, ohne die sein zeitintensiver Einsatz nicht möglich gewesen wäre. Er freue sich auch, dass Bürgermeister Michael Maier, Hauptamtsleiter Ludwig Maag und Lothar Vees, Geschäftsführer des Caritasverbands Hechingen, den weiten Weg nach Warschau auf sich genommen hätten, um dem Festakt beizuwohnen. Schuler zeigte sich sicher, dass sich die Gemeindepartnerschaft auch künftig positiv weiter entwickeln wird. So werde noch vor Weihnachten in Winterlingen ein Fotokalender mit Motiven aus Izbica verteilt. Ein weiterer Meilenstein werde mit einem deutsch-polnischen Fußballfreundschaftsspiel folgen, dass im Rahmen eines überregionalen U21 Turniers am 28./29. Juni 2014 im Stadion in Winterlingen ausgetragen wird. Und ganz besonders freut sich Herr Schuler bereits auf den Besuch des traditionellen Erntedankfestes im August in Izbica, wo er dann im Anschluss als –wie er augenzwinkernd bemerkt- als 'Praktikant' noch eine Woche bleiben darf, um seine Kenntnisse über Polen und die Partnergemeinde weiter zu vertiefen.
 
Heiner Schuler ist erster Ehrenbürger der Gemeinde Izbica. Eine außergewöhnliche Ehre ist dem früheren Bürgermeisterstellvertreter und Vorsitzenden des deutsch-polnischen Partnerschaftskomitees unserer Gemeinde, Heinrich Schuler, zuteil geworden. Er ist wohl einer der ganz wenigen Deutschen, die in einer polnischen Gemeinde zum Ehrenbürger ernannt worden sind.
Der feierliche Festakt fand am 17. Oktober 2017 im Sitzungssaal des Rathaus Izbica vor sämtlichen Gemeinderätinnen und Gemeinderäten und der Gemeindeverwaltungsspitze statt. Bürgermeister Jerzy Lewczuk und die Ratsvorsitzende Wioletta Niedzwiecka überreichten Heinrich Schuler die außergewöhnliche Auszeichnung. Er ist der erste Ehrenbürger der Gemeinde Izbica überhaupt. Jerzy Lewczuk und Wioletta Niedzwiecka würdigten in ihren Laudatien Schulers Einsatz für die deutsch-polnische Schul- und Gemeindepartnerschaft als wichtige Punkte hin zur Aussöhnung und den Ausbau der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Winterlingen und seiner südostpolnischen Partnergemeinde Izbica. Damit habe er sich in besonderer Weise verdienst gemacht und durch seine langjährige verdienstvolle Arbeit zum Wohl der Gemeinde Izbica beigetragen. Heinrich Schuler hob hervor, dass beide Gemeinden die Schul- und Gemeindepartnerschaft im Bewusstsein der Geschichte eingegangen seien. Nahezu alle jüdischen Männer, Frauen und Kinder, die vor dem II. Weltkrieg in Izbica nahezu 90 Prozent der Bevölkerung ausgemacht hätten, seien wahllos von willigen, brutalen Helfern des NS-Regimes in Izbica durch Aushungern, Verweigerung und medizinischer Hilfen, durch Erschießungen und anderen Grausamkeiten ganz bewusst getötet worden. Auch seien viele Juden aus Izbica in die nahe gelegenen Vernichtungslager Belzec und Sobibor deportier und dort ermordet worden. So aller Wahrscheinlichkeit nach auch Selma Burkart, über deren Schicksalsweg er letztlich nach Izbica gekommen sei. Die Schul- und Gemeindepartnerschaft habe auch mit dazu beigetragen, dass das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte nicht vergessen werde. Heinrich Schuler dankte allen Freunden und Wegbegleitern, die ihn in seiner Herzensangelegenheit unterstützen und wohlwollend begleitet haben. Er freue sich sehr, dass Bürgermeister Michael Maier und seine gesamte Verwaltung diesen Weg gemeinsam mit ihm beschreiten und der Partnerschaft einen hohen Stellenwert zu messen. Sein Dank galt insbesondere seiner Familie, ohne die sein zeitintensiver Einsatz nicht möglich gewesen wäre. Im Jahr 2018 werde das zehnjährige Bestehen der Partnerschaft gefeiert."     
Website der Gemeinde Winterlingen: "Zu unserer Partnergemeinde":  https://www.winterlingen.de/2005689.html  - polnisch "Gmina Partnerska Izbica"  https://www.winterlingen.de/1378767.html  
 
Juli 2020: Ein Stolperstein wird für Selma Burkart verlegt      
Artikel von Beate Müller im "Schwarzwälder Boten" vom 10. Juli 2020: "Die einzige Jüdin in Winterlingen
Dem Holocaust sind etwa sechs Millionen Juden zum Opfer gefallen. Eine davon war die Winterlingerin Selma Burkart. Am Montag bringt der Künstler Gunter Demnig zwei sogenannte Stolperstein als Mahnmal vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Ebinger Straße 15 an.
Winterlingen.
Die Jahre des Zweiten Weltkriegs und der Judenverfolgung durch das NS-Regime zwischen 1941 und 1945 sind eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Menschen jüdischen Glaubens wurden von den Nazis systematisch verfolgt und zum größten Teil in Massenvernichtungslagern ermordet. Auch die Winterlinger Jüdin Selma Burkart, geborene Muschel, fiel dem Holocaust zum Opfer. Heiner Schuler hat ihre Geschichte in fast 20-jähriger Arbeit penibel aufgearbeitet und ihre Lebensstationen abgereist – er war in Breslau, Warschau, Izbica und Lublin. Das Ergebnis seiner Recherche hat er in einer 160-seitigen Dokumentation zusammengefasst, die er dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau zur Verfügung gestellt hat.
Heiner Schuler arbeitete ihr Schicksal auf. Schuler hatte stets das Ziel, Burkart, die ihr Leben sinnlos wegen einer zerstörerischen Ideologie verlor, ein Andenken in ihrer Heimatgemeinde zu schaffen. Am Montag werden vor ihrem einstigen Wohnhaus in der Ebinger Straße 15 zwei sogenannte Stolpersteine in den Boden eingelassen – einer für Burkart selbst und einer für ihren Mann, den damaligen Winterlinger Ortsarzt Emil Bur­kart. Anders als seine Frau, war er kein Jude, sondern Katholik. Doch wie sie wurde auch er ausgegrenzt und drangsaliert. "Vor der Nazizeit waren die Burkarts eine angesehene Familie in Winterlingen", weiß Hauptamtsleiter Ludwig Maag zu berichten, der die Stolpersteinlegung von Seiten der Gemeinde koordiniert.
Selma Burkart wurde am 17. April 1885 in Löwen/Oberschlesien geboren. Sie arbeitete während des Ersten Weltkrieges als Krankenschwester; ihr wurde das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. 1928 zogen die Eheleute Burkart nach Winterlingen, wo Emil Burkart, der aus Oberschwaben stammte, eine ausgeschriebene Arztstelle angenommen hatte. 1933 übernahmen die Nazis auch in der 2700-Seelen-Gemeinde das Regiment. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP und seine Schergen übten massiven Druck auf Selma Burkart aus und schikanierten sie, wo sie konnten. Als die SA-Leute im Ort ihr mit Gewalt drohten, floh sie – kurz vor der Reichspogromnacht im November 1938 – zu ihren Eltern und Schwestern nach Breslau. Dies auch, um ihren Ehemann, dessen Praxis mittlerweile von den Winterlingern gemieden wurde, vor weiteren Anfeindungen und finanziellen Einbußen zu schützen. Am 9. April 1942, wenige Tage vor ihrem 57. Geburtstag, erhielt Selma Burkart, den sogenannten Gestellungsbefehl. Sie wurde am 12. oder 13. April vom Breslauer Bahnhof Odertor "nach dem Osten" deportiert. Endstation war Izbica im Südosten Polens. Von dort stammt auch das letzte Lebenszeichen Selma Burkarts: eine handgeschriebene Postkarte mit dem Izbicaer Poststempel vom 25. April.
Das letzte Lebenszeichen kommt aus Izbica. Wann, wo und wie Selma Burkart starb, ob sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in Izbica ermordet wurde, ob sie im Durchgangslager Izbica an Krankheiten, an Hunger oder anderem starb oder ob sie von Izbica aus in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort getötet wurde – ­ all das ist unbekannt. Das Amtsbericht Balingen erklärte sie am 7. November 1948 für tot. Der Berliner Künstler Gunter Demnig hat seit 1996 deutschlandweit Tausende von Stolpersteinen als künstlerisches Mahnmal vor den ehemaligen Wohnhäuser ermordeter Juden angebracht. Am Montag macht der Künstler Station in Winterlingen, um auf dem Gehweg der Ortsdurchfahrt vor dem ehemaligen Wohnhaus der Burkarts zwei Stolpersteine zu verlegen – einen mit den Lebensdaten Selma Burkarts und einen für ihren Mann, der zwar die Nazizeit überlebt hat, aber seine Frau verlor und aufgrund der erlittenen Diskriminierung ein Gezeichneter blieb. Ergänzt werden die Stolpersteine durch eine Infotafel. Eigentlich hätte die Stolpersteinverlegung mit vielen Gästen gefeiert werden sollen, erzählt Ludwig Maag. Geplant war, dass Schüler und eine Delegation des Partnerschaftskomitees aus Izbica kommen sollten – bekanntlich sind sich Winterlingen und die polnische Gemeinde dank Heiner Schulers Initiative seit langem freundschaftlich verbunden. Doch die Coronapandemie zwingt die Initiatoren dazu, die vergoldeten Mahnmale am Montag im kleinen Kreis in den Boden einzulassen."  
Link zum Artikel
Weiterer Bericht in der Website der Realschule Winterlingen: https://realschule-winterlingen.de/2020/07/15/zwei-goldene-steine-zur-mahnung/   

    
     

     
Links und Literatur   

Links:  

bulletWebsite der Gemeinde Winterlingen   

Literatur:  

bulletJoachim Hahn: Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg. 1988 S. 574.    

   
   

                   
vorherige Synagoge  zur ersten Synagoge nächste Synagoge

           

 

Senden Sie E-Mail mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an Alemannia Judaica (E-Mail-Adresse auf der Eingangsseite)
Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020