Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Weinsberg (Kreis Heilbronn)
Jüdische Geschichte 

Übersicht:

bulletZur Geschichte jüdischer Einwohner  
bulletBerichte zur jüdischen Geschichte in Weinsberg   
bulletFotos / Darstellungen  
bullet Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
          
In Weinsberg lebten einzelne Juden / jüdische Familien im Mittelalter und im 19./20. Jahrhundert.  
  
Im Mittelalter wird Weinsberg im Zusammenhang mit der "Rintfleisch"-Judenverfolgung 1298 genannt. Demnach wurden damals vermutlich Juden in der Stadt ermordet. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebten keine Juden in der Stadt. 1375 wird ein nach Weinsberg benannter Jude (Abraham von Weinsberg) in das Bürgerrecht der Stadt Rothenburg ob der Tauber aufgenommen. 1401 lebten nachweislich keine jüdischen Personen in Weinsberg. Erst 1418 lassen sich Juden in der Stadt wiederum nachweisen (genannt in der Steuerliste Konrads von Weinsberg). Damals sollten die Weinsberger Juden zusammen mit denen von Heilbronn 100 Gulden außerordentliche Reichssteuern bezahlen. 1434 werden zwei Juden in der Stadt genannt. 
  
Vom 16. bis Mitte des 19. Jahrhunderts war eine Niederlassung jüdischer Personen in Weinsberg nicht möglich.   
       
   
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: erste Nennung eines jüdischen Einwohners 1858, dann 1864 5, 1871 1, 1880 9, 1885 7, 1890 4, 1900 12, 1905 16, 1910 9. Unter den in Weinsberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jeweils ein Zeitlang wohnenden jüdischen Personen / Familien waren: der Oberamtswundarzt Dr. Ignatz Mainzer (seit 1855) und Justizassessor (später Amtsrichter) Dr. Leopold Löwenstein (seit 1878).  
  
1924 wurden 4, 1933 9 jüdische Einwohner gezählt. Dabei handelte es sich um die beiden Familien Thalheimer, die ursprünglich aus Lehrensteinsfeld stammten und Ende des 19. Jahrhunderts nach Weinsberg gezogen waren: 
   
Familie Hirsch Thalheimer (Adressbuch der Stadt Weinsberg)von 1928/29: Kanalstraße 35; Adressbuch 1931: Bahnhofstraße 32; Adressbuch 1936: gleichfalls Bahnhofstraße 32), Inhaber einer Viehhandlung, geb. 6. November 1867 in Lehrensteinsfeld als Sohn von Marx Thalheimer); verheiratet mit Bertha (Bella) geb. Hirschheimer (geb. 1. September 1876 als Tochter von Nathali Hirschheimer und Lena geb. Falk in Lehren). Das Ehepaar hatte drei Töchter: Gertrud (geb. 18. November 1899 in Weinsberg), Rosa (geb. 6. Juni 1901 in Weinsberg), Klara (geb. 30. Oktober 1903 in Weinsberg).
    
Die Tochter Klara heiratete Rudolf Krakauer (geb. 22. Januar 1896 in Berlin), mit dem sie einen Sohn Kurt Jakob hatte (geb. 20. Mai 1936 in Hannover). Die Familie lebte in Hannover, 1939 in Weinsberg bei den Eltern von Klara in der Bahnhofstraße 32, danach wieder in Hannover. Von Hannover aus wurde die Familie am 15. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert. Alle drei sind umgekommen (für tot erklärt).  
    
Hirsch und Bertha Thalheimer wurden mit der Tochter Gertrud 1941 deportiert. Hirsch und Bertha Thalheimer sind im Ghetto Theresienstadt (Deportation am 22. August 1942) umgekommen (Hirsch gest. 20. März 1943, Bertha gest. 2. September 1943); die Tochter Gertrud wurde bereits zuvor in Riga ermordet (nach Deportation am 1. Dezember 1941 nach Riga verschollen). 
 
Die Tochter Rosa konnte in die USA emigrieren. Sie hatte nach 1945 noch Kontakte zu der Familie, die das Haus der Thalheimers in der Bahnhofstraße 32 kauften.
  
Familie Alfred Thalheimer (Adressbuch der Stadt Weinsberg von 1928/29: Kanalstraße 37, Adressbuch 1931: gleichfalls Kanalstraße 37; im Adressbuch 1936 nicht mehr genannt). Alfred Thalheimer (geb. 23. Juni 1897 als Sohn des Aron Thalheimer und der Mina geb. Henle in Lehrensteinsfeld) war verheiratet mit Martha geb. Kaufmann (geb. 7. Mai 1903). Sie hatten einen Sohn Fritz (geb. 2. März 1929 in Weinsberg) und eine Tochter Nelly (geb. 22. Januar 1930). Die Familie konnte 1934 noch rechtzeitig nach Frankreich (Lyon) auswandern, wo sie überlebte. 
Im Haus Kanalstraße 37 wohnten - nach Angaben des Adressbuches Weinsberg 1936 - nichtjüdische Personen.
Im Zuge des Restitutionsverfahrens nach 1945 verkaufte Alfred Thalheimer sein Anwesen Kanalstraße 37 (die ehemalige Stadtmühle) an den Wirt vom Gasthof Ochsen.  Alfred Thalheimer lebte mit seiner Familie inzwischen in den USA. Alfred Thalheimer verstarb im April 1975 in Los Angeles, CA/USA, seine Frau Martha zuvor am 1. Juli 1988 ebd. Der Sohn Fritz (Fred) Thalheimer ist am 21. Dezember 1999 in Santa Rosa, Sonoma CA/USA gestorben.  

Die Angaben u.a. zu den Adressbüchern nach Auskunft der Stadt Weinsberg (Susanne Schmehl, Weibertreu-Museum vom 1.10.2013.
Biographische Angaben überwiegend nach den Familienregistern Lehrensteinsfeld sowie den verschiedenen Gedenkbüchern.   
Auskunft zur Familie Krakauer-Thalheimer von Peter Landé (United States Holocaust Memorial Museum) vom 27.9.2013.    
   
Etwas anders die Angaben von Armin Bauer, der uns am 23.9.2013 schreibt: "Laut Zeitzeuge wohnte bis ca. 1941 eine jüdische Familie mit einem Kind (Mädchen ca. 1930 +-2 Jahre geboren) in Weinsberg Kanalstraße 37. Eine Verwechslung mit der Familie in der Bahnhofstraße wird ausgeschlossen. Um 1941 wurde zuerst ein Familienmitglied von Kanalstraße 37 verschleppt, kurze Zeit später die restlichen Familienmitglieder. Ebenfalls erinnert sich der Zeitzeuge an die Familie in der Bahnhofstraße.
Laut Zeitzeuge wurde die Kanalstraße 37 daher nicht nur bis 1934, sondern deutlich länger von einer jüdischen Familie bewohnt; diese Familie ist demnach nicht in die USA ausgewandert." 
 
Nach Angaben von Peter Landé (United States Holocaust Memorial Museum) vom 27.9.2013 wohnte 1939 in der Bahnhofstraße 32 Kurt Jakob Krakauer (geb. 20. Mai 1936 in Hannover); später wohnte er wieder in Hannover, von wo er am 15. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert wurde. Er ist umgekommen. Zusammen mit der Angabe des Gedenkbuches (s.u.) lebte auch seine Mutter Kläre Krakauer geb. Thalheimer (geb. 1903 in Weinsberg) dort gelebt haben. Damit lebte die Familien Hirsch Thalheimer und Krakauer in Weinsberg in der Bahnhofstraße 32.   
  
Um 1900 lebte in Weinsberg gleichfalls nach den Familienregistern Lehrensteinsfeld Familie Joseph Rosenstein und Sophie geb. Maier, deren Sohn Fritz am 14. März 1900 in Weinsberg geboren ist.

      
      
Weinsberg Heilanstalt 1926 01.jpg (282811 Byte) In der 1903 erbauten "Königlichen Heilanstalt" (später Heil- und Pflegeanstalt) auf dem Weißenhof, heute Psychiatrisches Landeskrankenhaus, wurden alsbald auch jüdische Patientinnen und Patienten aufgenommen. Es wurden gezählt: 1905 8 Patienten, 1910 22, 1925 18, 1933 16. Die seelsorgerliche Betreuung der jüdischen Patienten lag in den Händen des Bezirksrabbiners von Heilbronn, der mehrfach im Jahr in die Anstalt kam. Rabbiner Dr. Beermann hielt seit 1915 regelmäßige Andachten für die Patienten, die auch von nichtjüdischen Kranken "gerne besucht" wurden. 
(die 1926 gelaufene historische Ansichtskarte links zeigt die "Anstaltskirche" der "Heilanstalt Weinsberg"; aus der Sammlung von Peter Karl Müller, Kirchheim/Ries)  
   
Im Zuge der "Euthanasie"-Aktion der NS-Zeit wurden fast alle jüdischen Patientinnen und Patienten ermordet (überwiegend in Grafeneck).   
  
Von den in Weinsberg geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", einschließlich der - kursiv gesetzten - Insassen der Heil- und Pflegeanstalt)Julius Falk (1882, ermordet in Grafeneck 1940), Alfred Gundelfinger (), Jutta Haarburger (1875, ermordet in Grafeneck 1940), Irma Heilbrunn geb. Oppenheimer (1871, ermordet in Grafeneck), Dr. Robert Herzfeld (), Rahel Kaufmann geb. Smus (1899, ermordet in Grafeneck 1940), Max Kochertaler (1894, ermordet, "Euthanasie"), Kläre Krakauer geb. Thalheimer (geb. 1903 in Weinsberg, später in Hannover), Kurt Krakauer (1936), Paul Landauer (), Paul Levi (1904), Julius Löwengart (), Berta Mändle (1867, ermordet in Grafeneck 1940), Robert Mainzer (geb. 1864 in Weinsberg, Sohn des Oberamtsarztes Dr. Mainzer, 1942 nach Theresienstadt verbracht, s.u.), Berta Michaels (1893), Martha Neustädter (1888, ermordet, "Euthanasie"), Ludwig Öttinger (), Ilse Pick geb. Cohn (1902), Hedwig Stern (), Bertha Thalheimer (1876 in Lehrensteinsfeld), Gertrud Thalheimer geb. Hirschheimer (geb. 1899 in Weinsberg), Hirsch Thalheimer (1867 in Lehrensteinsfeld), Paula Wallenberger (1888, ermordet in Grafeneck 1940).    
     
     
     
Berichte zur jüdischen Geschichte in Weinsberg 
   
Dr. Ignatz Mainzer wird Oberamtswundarzt in Weinsberg (1855)  
Anmerkung: es handelt sich um Dr. med. Ignatz Mainzer (geb. 7. September 1831, Rabbinersohn aus Weikersheim), der nach seiner Zeit in Weinsberg als praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer in Stuttgart tätig war (wohnt 1886 Stuttgart, Marienstraße 38). Er starb am 18. September 1903 und wurde im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes in Stuttgart beigesetzt. Er war verheiratet mit Beate geb. Kaiser. 

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 19. Februar 1855: "In Weinsberg, der Heimat des Justinus Kerner, ist ein jüdischer Arzt, Dr. Mainzer, Sohn des Rabbinen in Weikersheim, in Folge seiner trefflichen Zeugnisse, von der Amtsversammlung zum Oberamtswundarzt gewählt und von der königlichen Regierung bestätigt worden. Es ist dieser der zweite Israelit in Württemberg, der mit solchem Amte betraut worden."   

   
Dr. Leopold Löwenstein wird Justizassessor in Weinsberg (1878) 
 
Anmerkung: es handelt sich um Dr. Leopold Löwenstein II (geb. 19. Februar 1851), der nach seiner Zeit in Weinsberg in Stuttgart Rechtsanwalt und Amtsrichter wurde (wohnt 1886 Stuttgart, Werastraße 3). Er starb sehr früh am 13. November 1891 und wurde im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes in Stuttgart beigesetzt. Er war verheiratet mit Emilie geb. Mainzer (zwei Söhne: Ernst und Fritz). 

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. April 1878: "Stuttgart, 21. März (1878). Ein besonderes Interesse erweckt, wie die "Neue Stuttgarter Zeitung" schreibt, die heutige Liste der amtlichen Ernennungen, wonach der bisherige Justizassessoratsverweser Dr. Löwenstein in Tübingen zum Justizassessor in Weinsberg ernannt worden ist. Es ist dies der erste Fall einer definitiven Anstellung eines Israeliten als juristischen Staatsbeamten in Württemberg. Nachdem schon das Gesetz vom 31. Dezember 1871 jedem Württemberger ein Recht zu einer solchen Anstellung verliehen hat, so konstatieren wir heute die endliche erstmalige Realisierung jenes gesetzlichen und wohlbegründeten Rechts und können dem Staat zu einem so talentvollen und gewissenhaften Beamten wie dem oben genannten nur alles Glück wünschen."   

   
"Poetischer Streit": "Liebermann und Weibertreu" (1892)     
Anmerkung: Eingetragen hatte sich mit dem Gedicht in das Fremdenbuch der antisemitische Reichstagsabgeordnete Max Liebermann von Sonnenberg (1848-1911). Sein Gedicht ist als Ansage des Sieges der Antisemiten über Juden (für die nach Liebermanns Gedicht das 'Goldene Kalb' steht) zu deuten. 

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. März 1892: "Liebermann und Weibertreu. 
Man schreibt der "Fr.Ztg." (Frankfurter Zeitung?) aus Heilbronn vom 22. dieses Monats. Sie haben im vorigen Herbste einige Verse abgedruckt, die Herr Liebermann von Sonnenberg in das Fremdenbuch der sagenreichen Burg Weibertreu geschrieben hat: 'Bald reiten in mächtiger Schar wir an, 
Wir dulden nicht Laues, nichts Halbes, 
Erlösen die Herzen von hartem Bann, 
Vom Dienste des goldenen Kalbes!'  
Nun hat sich an jenem idyllischem Ort ein poetischer Streit entwickelt, dessen Kämpfer die Reiterschar des Herrn Liebermann nicht zu fürchten scheinen. Wir lesen neben seiner schrecklichen Drohung: 
'Wie oft riefst Du selber, o Liebermann - 
Oder hast Du es ganz vergessen? - 
Die Priester des goldenen Kalbes an, 
Wenn Du in der Patsche gesessen? 
So wenig wie sie, die mächtige Schar, 
Ihr Geld wird je wieder kriegen, 
So wenig wirst Du - 's hat keine Gefahr - 
In dem Kampf gegen Windmühlen siegen!  
Eine deutsche Frau, die Dich aber nicht von der Weibertreu heruntergetragen hätte!'  
Darunter ein halbes Dutzend 'Ich auch nicht' von ebenso vielen Mathilden, Paulinen usf."   

   
Rabbiner Dr. Beermann (Heilbronn) hält Volkshochschulkurse in Weinsberg (1924)      

Artikel in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des Central-Vereins) vom 20. März 1924: "Trotz einer national-sozialen Strömung haben die Volkshochschulkurse über Philosophie und Literatur des Herrn Bezirksrabbiners Dr. Beermann aus Heilbronn in Weinsberg (Württemberg) einen großen Zuhörerkreis gefunden und hier wie anderwärts zur Versöhnung und zum Ausgleich beigetragen".    


Über den in Weinsberg geborenen Rechtsanwalt Dr. Robert Mainzer (1864-1943) und seine Familie  

Aus dem Buch "Lebenszeichen" - Juden aus Württemberg nach 1933, hrsg. von Walter Strauss Gerlingen 1982 S. 184: "Dr. Robert Mainzer, geboren (als Sohn des Oberamtswundarztes Dr. Ignatz Mainzer s.o.) in Weinsberg, ließ sich, nachdem er die beiden Examen mit sehr guten Noten bestanden hatte, Ende 1891 in Stuttgart nieder. Schon 1886 erhielt er einen Pres der juristischen Fakultääöt der Universität Leipzig. Das Notariat, das er 1923 bekommen hatte, wurde ihm 1933 genommen. Von 1912 bis 1933 war er Mitglied des Vorstandes der württembergischen Anwaltskammer, von 1929 bis 1931 deren stellvertretender Vorsitzender und von 1931bis 1933 ihr Vorsitzender. Auf 30. November 1938 wurde ihm auch die Anwalts-Zulassung entzogen. 
Seine beiden Kinder konnten noch auswandern. Er und seine Frau Helene, geb. Heilmann wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, beide starben dort 1943."      

  
Über "Die israelitische Seelsorge in der königlichen Heil- und Pflegeanstalt Weinsberg (1905-1918) - von Dr. Franz Andritsch (Beitrag von 1984)  

Weinsberg HSt 0010.jpg (398505 Byte)Artikel in der Beilage der "Heilbronner Stimme" - "Schwaben und Franken" vom 25. Februar 1984: 
zum Lesen bitte Textabbildung anklicken    

   
   
Sonstiges  
Über eine Parallele zur Geschichte der "Weiber von Weinsberg" im Talmud (Beitrag von 1932)      

Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 1. Februar 1932: "Feuilleton. Die Weiber von Weinsberg im Talmud.
Eine der anmutigsten Erzählungen aus der schwäbischen Vorzeit ist die Geschichte von der Treue der Weiber zu Weinsberg. Die Kölner Königschronik berichtet zum Jahr 1140 über die Übergabe der Burg Weinsberg an Herzog Friedrich von Schwaben, den Bruder König Konrads III: "König Konrad belagerte Weinsberg eine Stadt des Herzogs Welf von Bayern. Die Festung Stand vor dem Fall. Da erlaubte der König in königlichem Edelsinn den Ehefrauen und den sonstigen weiblichen Personen in der Burg, dass jede forttragen durfte, was sie auf ihren Schultern zu tragen vermochte. Da nahmen diese, getreu ihren Gatten und auf die Rettung der Männer bedacht, nicht ihren Hausrat, sondern ihre Männer auf ihre Schultern und trugen sie aus der Burg. Herzog Friedrich wollte das nicht gelten lassen. Aber der König erklärte, es schicke sich nicht, ein Königswort zu verdrehen und ehrte die Treue der Frauen".
Das Beispiel der wackeren Weiber von Weinsberg machte Schule. Dieselbe Kölner Königschronik berichtet: "...Als 1160 die Stadt Crema in der Lombardei durch Kaiser Friedrich Rotbart belagert wurde, trug eine Ehefrau unter Zurücklassung ihres ganzen Eigentums ihren kranken Mann aus der Burg, als der Kaiser ihren Bewohnern erlaubt hatte, so viel sie auf ihren Schultern tragen konnten könnten, aus der Burg zu tragen." Allerdings waren damals die Männer nicht schlechter als die Frauen. So wird von den Chronisten Burkhard und Konrad von Ursberg berichtet, dass im selben Jahre bei der Eroberung von Mailand ein Mann seine fiebernde Frau als sein köstlichstes Eigentum aus der Festung heraus getragen hat.
An der Geschichtlichkeit dieser Berichte ist allerdings gezweifelt worden, da kein anderer Chronist sie mitteilt. Der erste, der sie nach der Königschronik wieder erzählt, ist der gelehrte Abt Johannes von Trittenheim (1495-1506). Der berühmte Melanchthon hat sie dann 1516 in die Tübinger Chronik des Nauclerus aufgenommen. Von da an gehört sie zum festen Bestand der schwäbischen Geschichte. Von Treskow hat ihre Glaubwürdigkeit von neuem 1709 bezweifelt. Ihm schloss sich 1847 der württembergische Geschichtsschreiber Stählin an, bis sie Ernst Bernheim in das Märchenreich der Sage verwies.
Inzwischen war die Geschichte von den Weibern von Weinsberg seit 1559 zu einem beliebten dichterischen Stoffe geworden, der sogar dramatisch verwertet wurde. Besonders Justinus Kerner, der über 40 Jahren als Arzt in Weinsberg wirkte, hat für die volkstümliche Verbreitung der alten Geschichte gesorgt. Sie war seitdem wie viele ähnliche Stoffe eine Wandersage geworden, und heute gibt es in Deutschland fast 50 Burgen, von deren Frauen die gleiche Geschichte berichtet wird. Sie hat aber in Dr. Karl Weller einen temperamentvollen Verteidiger ihrer Geschichtlichkeit gefunden, der in den Württembergischen Vierteljahresheften im Jahr 1903 tapfer für ihre Historizität eingetreten ist.
Dennoch dürfen die jüdischen Frauen für sich das Lob der Weibertreue als die ersten in der Geschichte beanspruchen. Enthält doch der Talmud fast ein Jahrtausend vor der Eroberung der Burg Weinsberg eine Erzählung, die recht wohl als eine Parallele zu der altschwäbischen Geschichte bezeichnet werden darf. Nach altjüdischem Gesetze soll ein Ehemann, wenn seine Ehe kinderlos geblieben, eine andere Frau heiraten und sich von der ersten scheiden, da es ihm vielleicht vom Schicksal nicht beschieden war, von ihr ein Kind zu erhalten (Mischna Jebamith VI,6: babylonischer Talmud Jebamoth 64 A). Nun lebte in Sidon ein Ehepaar in glücklicher Harmonie. Die Ehe war zehn Jahre kinderlos geblieben und sollte deshalb geschieden werden. Die Eheleute veranstalteten einen festlichen Abschiedsschmaus vor ihrer Trennung. Als man beim Mahle guter Dinge war, sprach der Gatte: das Schönste und Beste in meinem Hause sollst du dir in das Haus deines Vaters mitnehmen dürfen. Die listige Frau machte den Mann trunken, dass er einschlief. Dann ließ sie ihn hurtig in das Haus ihres Vaters tragen und, als er am Morgen erwachte, sprach sie lachend: 'das Liebste in deinem Hause warst du selbst. Ich habe es mir heimgeholt'. So blieben die beiden verbunden. Rabbi Simeon ben Jochai aber betete für sie und sie erlebten das Glück des eigenen Kindes (Midrasch zum Hohen Liede 1,4: Jalkut Genesis § 15)."                           

   
    
    
Fotos   

Zur jüdischen Geschichte in Weinsberg sind keine Fotos oder Abbildungen vorhanden.

      
     
 
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte       

Februar 2020: Verlegung von "Stolpersteinen" geplant     
Artikel von Simon Gajer in der "Heilbronner Stimme" vom 19. Februar 2020: "Stadt Weinsberg erhält Stolpersteine
Weinsberg. In Weinsberg soll an die ehemaligen jüdischen Mitbürger erinnert werden. Auch an die Opfer aus dem Klinikum am Weissenhof wird erinnert.
Die Stadt Weinsberg soll sogenannte Stolpersteine erhalten, die an jüdische Mitbürger erinnern, die während der Nazidiktatur in Weinsberg gelebt hatten. Das hat auf Nachfrage der Linken-Fraktion im Gemeinderat die Verwaltung um Bürgermeister Stefan Thoma betont. Entsprechende Mails hätte die Fraktion bereits erhalten, sagte Hauptamtsleiter Thomas Siegle. Stefan Thoma sagte: "Wir sind uns einig, dass wir es begleiten." Nun gehe es darum, den Künstler Gunter Demnig, der die Aktion ins Leben gerufen hat, für einen Vor-Ort-Termin zu gewinnen.
Margit Frisch regt an, an weitere Opfer zu erinnern. Spenden für die Steine sollen über die evangelische Kirchengemeinde gesammelt werden. FWV-Stadträtin Margit Frisch geht davon aus, dass mehr Geld zusammenkommt, als benötigt wird. Sie regte deshalb an: Man könne ebenfalls an die Opfer aus dem Klinikum am Weissenhof erinnern."  
Link zum Artikel 

    
     

Links und Literatur

Links:  

bulletWebsite der Stadt Weinsberg  

Literatur:  

bulletGermania Judaica II,2 S. 871-872; III,2 S. 1565-1566.    
bulletPaul Sauer: Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. 1966. S. 95-100.  
bulletHans Franke: Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. 1963. S. 37.
bulletFranz Andritsch: Die israelitische Seelsorge in der königlichen Heil- und Pfleganstalt Weinsberg (1905-1918). In: Schwaben und Franken. Beilage zur Heilbronner Stimme vom 25.2.1984.    
bulletWolfram Angerbauer/Hans Georg Frank: Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. 1986. S. 237-238.  

  
   

                   
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Stand: 30. Juni 2020