Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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St. Moritz (Kanton Graubünden, Schweiz)
Jüdische Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis um 1930 (bzw. bis zur Gegenwart)

Übersicht:

Zur jüdischen Geschichte in St. Moritz  
Berichte aus der jüdischen Geschichte in St. Moritz   
Fotos / Darstellungen   
Links und Literatur   

   

Zur jüdischen Geschichte in St. Moritz       
    
In St. Moritz gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch jüdische Kurgäste, bis Anfang der 1880er-Jahre allerdings keine Einrichtung, in der eine rituelle Verpflegung möglich war. Eine solche gab es erst seit 1882, als Josef Bermann aus Meran eine koschere Restauration eröffnete (siehe Anzeige unten). Konkreter Anlass hierzu war der an Josef Bermann herangetragene Wunsch des Baron Willi von Rothschild, der nach St. Moritz zur Kur wollte, doch nicht auf eine koschere Verpflegung verzichten wollte. Zunächst eröffnete Bermann seine Restauration im bisherigen "Hotel Zentral". 1886 verkaufte Bermann das "Hotel Zentral" und erwarb die ehemalige Villa Gartmann Schaumann, aus der die Pension und später das Hotel Edelweiss entstand (Eröffnung 1890). Das Hotel stand in der Via dal Bagn 12.     
  
In den folgenden Jahrzehnten war die Pension / Hotel Edelweiß Mittelpunkt des jüdischen Lebens in St. Moritz. Josef Bermann hatte in ihm auch eine Haussynagoge eingerichtet.                
   
Das Hotel Edelweiss wurde von der Familie Bermann über vier Generationen bis zur Sommersaison 2010 geführt. In diesem Jahr ist die Familie Bermann nach Israel ausgewandert.     
     

Presseberichte aus den vergangenen Jahre: 
  
-  Artikel "Ein Kapitel St. Moritzer Hotelgeschichte geht zu Ende". 
   In: "südostschweiz.ch" vom 4.12.2010: Link zu diesem Artikel    
-   Pressemitteilung
: Ein Kapitel St. Moritzer Hotelgeschichte geht zu Ende. 
   In: "Die jüdische Zeitung.ch" vom 10. Dezember 2010   Link zu diesem Artikel    
-  Peter Bollag: Nach dem Beten auf die Piste. Schweiz: Koschere Winterferien in den Alpen sind nicht billig, aber beliebt.  
   In: "Jüdische Allgemeine" vom 7.2.2008  Link zu diesem Artikel.  
-  Adam Wills: A Swiss Family Bind - No Hotel Heirs. 
   In: "JewishJournal.com vom 24.3.2005".  Link zu diesem Artikel.  
- Nadine Kin: Hotel im biblischen Alter. 
  In: "Tachles.ch" vom 19.12.2003. Link zu diesem (kostenpflichtigen) Artikel.       
  
  
Hinweis auf einen Dokumentarfilm über das Hotel Edelweiß:  

-  Amit Breuer (Regie): Shacharit, Mincha, Maariuv. The Story of the Edelweiss.  2003.   Nähere Informationen    

Filmbeschreibung: 1886 gründete Leopold Berman in St. Moritz das koschere Hotel Edelweiss. Schon zuvor hatte er sein Hotel Bellaria in Meran zu einem der ersten Häuser am Platz gemacht, als Pionier einer damals prosperierenden jüdischen Hotelkultur. Bis heute ist das Hotel Edelweiss in Familienbesitz. Amit Breuers Dokumentarfilm vereint die Geschichte des Hotels und der Familie mit einem Kaleidoskop jüdischer Orthodoxie in den Alpen – eine sehr persönliche Hommage an den Enkel des Gründers, Leopold Bermann junior, der noch heute das Hotel führt. Das Edelweiss ist immer noch ein Zentrum des jüdisch-orthodoxen Tourismus in Graubünden, auch wenn es längst nicht mehr das einzige koschere Hotel in den Bergen ist. Bettina Spoerri, Literaturwissenschaftlerin in Zürich, hat für die Ausstellung 'Hast Du meine Alpen gesehen?' die Geschichte der koscheren Hotels in Graubünden recherchiert und führt in die Geschichte dieser nicht ganz alltäglichen jüdischen Lebenswelt ein. Sie arbeitet als Redaktorin der Neuen Zürcher Zeitung (Film/Literatur/Theater) und als Dozentin.    

   
   
   
Berichte aus der jüdischen Geschichte in St. Moritz        
    

Josef Bermann aus Meran eröffnet eine Restauration in St. Moritz (1882)      

St Moritz Israelit 03051882.jpg (101994 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Mai 1882: "Koscher
Restaurations-Eröffnung
in 
Karlsbad und St. Moritz.
 
Hiermit erlaube mir anzuzeigen, dass auf vielseitiges Verlangen ich erg. Gefertigter am 10. Mai dieses Jahres in Karlsbad, Egerstraße 833, vis-à-vis dem Stadtparke gelegen, eine feine streng koschere Restauration eröffne. 
Das komfortable Lokal ist mit einem großen Garten verbunden. 
Am 4. Juli, wo die Saison in St. Moritz (Engadin), Schweiz, beginnt, eröffne ich dort unter persönlicher Leitung meine Restauration neben Hôtel 'Des Alpes', wo ich hoffe, meine hochgeehrten P.T. Kurgäste in jeder Beziehung auf beste Art und Weise zufrieden zu stellen.  
Referenzen: Herr Ober-Rabbiner Schreiber in Krakau, Herr Ober-Rabbiner Schreiber in Preßburg und Herr Dr. Lehmann, Rabbiner in Mainz. 
Somit stelle meine ergebene Bitte um zahlreichen Zuspruch und zeichen ergebenst 
Josef Bermann aus Meran."          

     
Anzeige der Pension Edelweiss (1906)
     

Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 11. Mai 1906: 
"St. Moritz-Bad. Ober-Engadin (Schweiz). 
Koscher
Pension Edelweiß Koscher. Neu und elegant eingerichtete Zimmer. 
Schöne Speisesäle und Veranda. Eröffnet am 5. Juni. 
Besitzer: L. Bermann."     

       
Reisebrief aus der Schweiz - über St. Moritz (1909) 
Anmerkung: die Reisebrief aus St. Moritz enthält nur wenige Angaben zum "jüdischen Leben" in St. Moritz. Aus dem Grund, dass hier auch sehr viele Rabbiner unterschiedlichen (konservativen und liberalen) Gepräges ihre Kur beziehungsweise ihren Urlaub verbringen, denkt der Briefautor über die geistliche Prägung des von einem Mosche-Geist geführten Gottesmannes nach.       

St Moritz Israelit 22071909a.jpg (272851 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Juli 1909: "Reisebriefe aus der Schweiz. III. St. Moritz bedeutet auch für die jüdische Hautevolee das rauschende Paris, wo die Pracht und Eleganz der Toiletten in glänzenden Soireen sich entfaltet. Zwar ist der reizende Höhepunkt durch die Schienenstränge, welche raffinierte Technik auch dorthin führte, für poetisch veranlagte Naturen etwas seines idyllischen Taubers entkleidet worden. Die alte Postkutsche, welche den schwierigen, kostspieligeren Höhenweg mit den langweiligen Postgäulen erst nach Stunden zurücklegte, sorgte dafür, dass das die Eisenbahn bevölkernde Proletariat fernblieb und ermöglichte hier die erwünschte Isolierung. So blieb es der Mensch, auf dem Wege des Vergnügens, von Romantik umweht, möglichst lange zu verweilen, und selbst Hindernisse erscheinen ihn dabei klein. Gilt es aber, den Weg der Pflicht zu beschreiben, erwachsen auch kleine Hindernisse zu unüberwindlicher Größe. 
Die düstere, sonnenarme Zeit, welche diesmal ganz den Charakter der drei Wochen trägt, lässt auch in ST. Moritz die sonst pünktlich und regelmäßig eintreffenden Gäste bis zur Stunde noch vermissen. Ein nicht kleines Kontingent stellen für gewöhnlich die geistigen und geistlichen Führer unserer Gemeinden, die Rabbinen. Die nationale Trauerzeit der drei Wochen genießt man am behaglichsten dort oben in der freien, würzigen Luft der Berge, wo der gesunde Jodler Tischo-Beaf-Stimmung nicht aufkommen lässt. Gar mancher von ihnen sieht auch gar nicht so sehr erholungsbedürftig aus, wenigstens sehen wir auf dem Antlitz jene charakteristische, wie Sonnenglanz leuchtende Inschrift 'sinne darüber bei Tag und Nacht' nicht gerade hervorstechend eingegraben; die besagte Pflicht die, die 'wenn du gehst auf deinem Weg' (5. Mose 6,7) einschließt, hat ja gegenüber den Sorgen und Forderungen des Tages an Größe und Bedeutung begreiflicherweise verloren. Dafür hat der Humor seine Geltung behauptet. Jedes Mal, wenn ein gelungener Kalauer die Runde macht, erdröhnt der Konversationssaal von einer Lachsalve. Auch routinierte Bergsteiger sind unter ihnen, die ihre Kunst nicht nur in den Alpen praktizieren. Wenn es sich darum handelt, eine von der 'bösen Orthodoxie' entsandte Berglawine aus dem Wege zu räumen, beweisen unsere neologen Brüder Meisterschaft, sie aus dem Wege zu räumen. Religiöse Gewissensskrupel sind in unserer Zeit der Aufklärung ein überwundener Standpunkt. Wie das Luftschiff den blauen Äther durchquert, so wissen sie jede Richtung einzuschlagen im Luftkreis ihres jüdischen Denkens! Und das ist da der Jammer der ganzen Zeit. Mit fürchterlicher Anklage trifft sie das Talmudwort, welches in diesen Tagen ihr Herz verwunden und - aufrütteln müsste. 'Jerusalem wurde nur deshalb zerstört, weil man einander nicht zurechtwies.' 
Wer bei der table d'hote die Herren sich etwas genauer ansieht und an ihren Diskussionen teilnimmt, der sieht wie in einem Spiegel das Bild der Gemeinde, die ihrer Wirksamkeit anvertraut ist. Da gewahrt man Physiognomien, die von der blitzenden Schneide des Rasiersäbels ihres schönsten Bartrahmens entkleidet sind und infolgedessen ganz pastoral anmuten, wie auch das Wirken und Handeln ganz pastoral und salbungsvoll ist. Viele Worte, wenig Taten. In der Erbauung ihrer Schutzbefohlenen leisten sie allerdings großes durch die Predigt. Wir bemerkten Herren, die wir Generalleutnants die Kanzel beherrschen, befehlend und ihre Getreuen mit scharfem Auge mustern; andere spielten ausgezeichnet, mit wahrer Schauspielergewandtheit ihre Rolle, wenn die 'Seelenfeier' angestimmt wird.   
'Ja' sagt mein Nachbar bedeutungsvoll, 'diesen Mann sollten Sie bei der Seelenfeier sehen. Das ganze Auditorium ist in Tränen aufgelöst'.  
'Ich habe mir die Sache auch angesehen', bemerke ich, 'aber ich könnte nicht behaupten, dass ich von sonderlicher Wärme durchflutet worden wäre. Ich lasse mich von großen Worten nicht bestechen. Wer sind diese Herren, welche die Gräber zu sprengen und die Gestalten der unvergesslichen Dahingeschiedenen herauf zu beschwüren suche? Auch ich halte Haskarat Neschamot (gemeint das Kaddisch-Gebet) für eines unserer innigsten und weihevollsten Gebete. Aber der geistige Führer der Gemeinde, der sich gedrungen fühlt, diesen Weiheakt rednerisch zu erklären, muss seinen Zuhörern sagen, dass das schönste Denkmal für teure Dahingeschiedene die Erfüllung göttlicher Pflichtgebote ist       
St Moritz Israelit 22071909b.jpg (75459 Byte) dass dies für die Seelen eine Befriedigung ist, eine bis in die uns verhüllte Welt reichende Labe und Erquickung ist. Aber da haben wir's wieder: Wer andere überzeugen will, muss es selbst sein; er darf nicht in schmeichlerischer Larve vor das Volk treten und selbst diejenigen mit dem Mantel schonender Liebenswürdigkeit decken, welche öffentlich die göttlichen Vorschriften gewissenlos missachten. Ewig vielsagend und schön ist der letzte Wunsch des sterbenden Moscheh, der auf uns wirkte, als sei er in gegenwärtiger Stunde uns gesagt worden: Möge doch der Allgütige einen Mann über die Gemeinde setzen, einen ganzen Mann, der sie aus- und einführt, damit die Gemeinde Gottes nicht umherirre wie eine Herde, die keinen Hirten besitzt. Männer brauchen wir, die mit Moscheh-Geist getränkt, an ihre Aufgabe herantreten, und die mit unwandelbarer Liebe zu ihrem Volke sie zu erfüllen suchen. Die Liebe zwischen Führer und Volk muss den Kontakt bilden, und überstrahlt muss sie werden, wie es bei Moses war, von der Liebe zu seinem Schöpfer. Dann wird es nicht mehr nötig sein, die jeweiligen wissenschaftlichen Tages-ergebmiese der Ethik von der Tribüne herab mit oratorischem Glanze zu entfalten, sondern es genügt, in das Meer des Talmud zu tauchen, um Perlen des Geistes und Gemütes in reichster Fülle hervorzuholen."   

       
 Brief aus der Schweiz - aus dem winterlichen St. Moritz (1920)   

St Moritz Israelit 15011920.jpg (183925 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Januar 1920: "Aus den Graubündner Bergen. 
Auf fest gefrorenem Schnee die Wintersonne! Seit morgens 9 Uhr scheint sie so warm, dass der Mantel dem Wanderer lästig fällt. Er legt sich in den tiefen Schnee und lässt sich sonnen. Das Behagen, das er dabei empfindet hier oben, in der reinen Luft, hoch über das schale Alltagsleben hinausgehoben, ist unbeschreiblich. Bis gegen 3 Uhr kann man die Wintersonne genießen, erst dann fängt es an, kalt zu werden.  
Jeden Tag zieht es uns hinaus ins Freue. Uns? Das unzertrennliche deutsche Kleeblatt. So nennt man uns schon seit dem Herbst, seitdem wir dem Minjan in St. Moritz an den Jomim Nauroim (hohe Feiertage im Herbst) den deutschen Stempel aufgedrückt, die Sucko (Laubhütte) in unserer Art aufgeputzt und an den Freitagabenden unsere Semiraus (Melodien) eingeführt haben. Damals waren wir noch zu Dreien. Wir wir im November zu unserem vierten Mitgliede gekommen sind, das eben will ich heute erzählen.  
Sitzen wir da eines Mittags in der Nähe des Hahnensees an einer Bergeshalde im Schnee, von zwei Felsen auf beiden Seiten verdeckt und von den warmen Sonnenstrahlen geradezu durchglüht, um nach reichlichem Mittagessen, das wir aus St. Moritz im Rucksacke mitgenommen hatten, zu benschen. Meine Freunde hatten mir gerade 'Boruch scheochalnu mischelau' geantwortet, als von der anderen Seite laut gerufen wurde 'Uwtuwau chojinu'. Wir konnten kaum vor Neugierde das Ende des Tischgebetes erwarten. Warum der Rufer nicht zu uns kam?  Das sollten wir bald erfahren. Er hatte sich beim Schneeschuhlaufen den Fuß ein wenig verstaucht und dazu noch beim Ausruhen einen Krampf bekommen, der ihm das Erheben unmöglich machte. Tatsächlich war das Angstgefühl das Hauptziel gewesen. Wir nahmen uns natürlich seiner an und brachten ihn durch einen Schluck Kognak und die Reste unseres Mahles bald wieder auf die Beine.   
Er aber ist der festen Überzeugung., dass seine unjüdische Lebensweise ihn schon die Schatten des Todes hätte sehen lassen, und seitdem gehört er voll und ganz zu uns. Er freut sich jetzt schon damit, dass uns nun die Eröffnung der Wintersaison ein ständiges Minjan ermöglichen wird, und er ist ernstlich bestrebt, sein ganzes Leben nach den Satzungen unserer Heiligen Religion einzurichten."      

 
Bericht eines jüdischen Kurgastes aus St. Moritz (1925)     

St Moritz Israelit 20081925.jpg (238044 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. August 1925: "St. Moritz
Wer hoch gekommen ist, will immer noch höher hinaus und hinauf. Das ist Gesetz im Leben unten, wie draußen in den bergen. Darum ist es feststehende Sitte, dass, wenn jemand in Schuls drei Wochen lang genügend gebadet, getrunken, gewacht und gewartet hat, auf der Rückfahrt für ein paar Tage oder wenigstens Stunden mit der rhätischen Bahn über Bevers noch 500 Meter weiter hinauf fährt, nach St. Moritz.  
Im Grund sieht man in St. Moritz nicht viel mehr als 'unten' in Schuls. Viele Berge, viele Frankfurter und Berliner. Aber hier ist alles höher, die Berge, die Preise und auch die Berliner und Frankfurter. St. Moritz ist im Gegensatz zu Schuls, das ein Heilbad ist und neun Monate im Jahre zwischen den Bergen eingebettet seinen müden Winterschlag hält, ein ausgesprochenes Luxusbad, mit allen Attributen und Kriterien eines solchen, im Sommer und noch mehr im Winter, da der turmhohe Schnee alljährlich neue Möglichkeiten des weißen Sportes eröffnet.  
Jetzt aber spiegelt sich der Schnee der Höhen im schönsten Grün von Wiese und Wasser. Man nimmt vom Bahnhof durch die Reihen Doppelspalier bildender Hotelportiers links den Weg am ungemein lieblichen blauen See entlang nach dem sogenannten Kurviertel. Rechts auf der Anhöhe liegt das Dorf. Über bescheidene, rotbedachte Bauernhäuser ragt protziger Stuck neuer Hotels und Sanatorien hinaus. Ein Autobus verbindet angeblich Dorf und Kurpromenade. Er fährt aber, wann und wohin er will, als sähe die Postdirektion ihre Aufgabe darin, für bessere Bewegung der Kurgäste und Touristen zu sorgen. Wer beispielsweise vom Bahnhof zum Kurhaus fahren will, muss erst den Berg zum Dorf hinaufklettern, bis zur Post wandern und dann - warten. Heil dem Harrenden! Einmal wird das Vehikel erscheinen, sich in Bewegung setzen und zu einem Preise, gegen den man in einer deutschen Stadt einen ganzen Tag Gast der Straßenbahn sein kann, den Mann an das Ziel bringen. Soviel nur zur Warnung. 
Da wir uns nun links halten und den herrlichen Autobus nur von außen und unten bewundern, sind wir in gut zwanzig Minuten zu den Sehenswürdigkeiten des Höhenortes gelangt. Die erste, vielleicht bedeutendste, ist das jüdische Hotel, genannt 'Edelweiß', dessen Fassade, wie übrigens die meisten der so geheißenen Höhenblumen, weder edel noch weiß anmutet. Ein altes Haus im Vergleich zu der strahlenden 'Viktoria' in Schuls. Aber es birgt guten Geist, dieses Haus; verkörpert durch einen Hotelier, der, ein Bild des Friedens und der Abgeklärtheit, in feierlichem langem Schwarz auf seinem Sessel, die lange Pfeife im Munde, sitzt und von diesem sicheren Port aus mit einer Ruhe und Festigkeit die großen täglichen Schlachten der Hauptsaison leitet, die jedem Feldherrn Ehre machen würde. Reklamationen, wenn solche bei Vater Bermann überhaupt möglich wären, scheiterten schon am ruhigen Lächeln, mit der sie vom Sessel aus entgegengenommen würden. 'Sie haben recht', ist der stereotype Satz, an dem alles wie an einem Eisenpanzer zurückprallt. Dieser jüdische Wirt könnte, im Garten unter einer mächtigen Linde oder Palme, so wie er da in der Vorhalle mit der Pfeife im Munde sitzt, einem Rembrandt ein herrliches Modell für 'Abraham, der unter dem Baume seine Gäste bewirtet', abgeben. Es mag sein, dass die Rechnungen im Eschel-Hotel des Abraham weniger üppig ausfielen. Aber so ist auch unser Bermann nicht. Er hat Verständnis für die gute Nachbarschaft von Herz und Magen und er        
St Moritz Israelit 20081925a.jpg (174585 Byte)zählt gern von den prominenten Persönlichkeiten, die hier und in Meran schon seine Gäste waren. Sein Auge leuchtet, wenn ein schönes jüdisches Wort an sein Ohr dringt. Ja, es soll sich schon ereignet haben, dass er von einem Durchwanderer ein solch schönes Wort als Vollgeld in Zahlung nahm - für ein gutes reichliches Abendessen.   
Und eine zweite Sehenswürdigkeit von St. Moritz. In der schönen neuen Straße zum Kurhaus leuchtete mir an einem Hause am Briefkasten ein bekannter Name entgegen. Ich stieg hinauf und fand - einen alten Freund im schönsten Dreiwochenbarte an dem ausgebreiteten Pergamente einer Thorarolle schreibend. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, sich selbst mit eigener Hand seine Thorarolle zu schreiben und benutzt den Ferienaufenthalt auf 2.000 Meter Höhe dafür. Natürlich ist es ein Frankfurter.  
Draußen leuchtet der See, Ein Regenbogen, von den Bergen kommend, legt sich tief und quer über das blaugrüne Wasser. Rechts schimmert und glitzert es von den weißen Spitzen herab. Von der Straße dringt der dröhnende Schritt von Kurgästen und Touristen. Heimische Burschen im Sonntagswichs mit kühner Pfauenfeder auf dem Hut singen. Vom Kurhause, wo vier oder fünf Musikanten auf einer Tribüne Kurkapelle 'spielen', kommen die wiegenden Töne einer dünnen Jazzmusik. Oben sitzen zwei Menschen und forschen und grübeln mit Eifer danach - warum das eine Efron in der Thora mit und das andere ohne Wow geschrieben wird.   
Freilich gibt es noch andere Segenswürdigkeiten in St. Moritz außer dem jüdischen Wirt und dem Frankfurter Liebhaber-Thoraschreiber. Ich habe aber nur von respektvoller Ferne zu ihnen hinaufgeschaut, zu den weißen Spitzen wie zu den dahinterschimmernden Gletschern, wiewohl Wege und Straßen genug und auch Zahnradbahnen hier zu den höchsten Höhen hinaufführen. Die Versuchung war groß. Allein noch gerade rechtzeitig fiel mit ein schöner Satz ein, den ein östlicher Brüder auf der höchsten Bergspitze in den Lettern und der Sprache seiner Heimat in das Album geschrieben hat. 'Horim u'Gwoaus, Viel Hauzaus Und wenig Hanoaus. ---' 
Nachdem dieser Spruch schon geschrieben steht, hatte ich da oben nichts mehr zu tun und fuhr noch am gleichen Abend ein paar hundert Meter tiefer nach dem herrlichen Filisur hinunter, um am folgenden Tage mit dem Frühzuge nach Davos zu gelangen."    

  
Zum Tod von Leopold Bermann (1928)       

St Moritz Israelit 02021928.jpg (186721 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Februar 1928: 
"Leopold Bermann - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
Meran
, 30. Januar (1928). Der Heimgang des wohl in den jüdischen Kreisen der ganzen Welt bekannten Hoteliers von Meran und St. Moritz, Leopold Bermann, dürfte bei all denen, die ihm im Leben näher getreten sind, ein Gefühl persönlicher Teilnahme auslösen. Die Sonne, die von diesem ehrwürdigen Greis ausstrahlte, die Liebenswürdigkeit, mit der er jeden empfing und die väterliche Fürsorge, mit der er Alte und Junge gleichermaßen betreute - wer könnte dies alles vergessen. Aus Ungarn stammend, jenem Kreis, in dem unsere Tora fest verankert liegt, zog er mit seinen Eltern Anfang der achtziger Jahre nach Meran, wo der Vater ein Hotel eröffnete. Als im Jahre 1883 der Baron Willi von Rothschild - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - zur Kur nach St. Moritz wollte, wo man koschere Verpflegung noch nicht kannte, ersuchte er Leopold Bermann mit ihm zu reisen und für diese zu sorgen. Bermann folgte dieser Aufforderung und gelegentlich dieses Aufenthaltes in St. Moritz erwarb er auf Anraten des Barons von Rothschild das Haus, das als Hotel Edelweiß heute überall bekannt ist. Dieses sowie das Hotel Bellaria in Meran wusste er zu Heimstätten der Erholung zu machen, für arm und reich. Manch einer speiste wochenlang an der Tafel mit, an dem er sich die Mizwe (religiöse Weisung) von Gastfreundschaft im wahrsten Sinne verdiente. Und in jedem dieser Häuser hatte er sich eine Synagoge eingerichtet und mit der Liebe ausgestattet, die aus seiner tiefen Gottesfurcht strömte. Dort stand er bis vor wenigen Jahren als Kantor und Vorleser und als Schofarbläser und es war eine Freude, diesen damals schon Siebzigjährigen zu hören und in seiner Andacht zu beobachten. Und in seinen Mußestunden saß er über einem Sefer (Torarolle), sich freuend, wenn einer seiner Gäste ihm Gesellschaft leistete oder gar mit ihm disputierte. Nun ist er in Meran am 19. Tewet (= 12. Januar 1928) nach einigen Monaten schweren Leidens hinübergegangen in das ewige Leben, die ehrwürdige Gattin, die ihm im Leben treu zur Seite stand und drei Kinder zurücklassend. Möge Gott ihnen Trost sein und die Kraft geben, den Geist des Heimgegangenen in seinen Häusern lebendig zu erhalten. Seine Seele sei eingebunden im Bund des Lebens."        
St Moritz Israelit 02021928d.jpg (120281 Byte)Ferner wird uns aus Meran geschrieben: 
Heute verschied hier nach langem mit Geduld und Vertrauen auf Gott ertragenem schweren Leiden das Seniormitglied unserer Gemeinde und Eigentümer der allerorts rühmlich bekannten Hotels Bellaria, Meran, und Edelweiß, St. Moritz, Leopold Bermann, im Alter von 74 Jahren. 
Der Verblichene leitete Jahrzehnte hindurch das von seinem Vater Josef Bermann seligen Andenkens gegründete rituelle Hotel Starkenhof und gründete später, vor ca. zwei Dezennien das Hotel Bellaria, welches eines der vornehmsten Etablissements in seiner Art ist. - Sein schlichtes Wesen, Zuvorkommenheit, wahre Frömmigkeit und bedeutendes jüdisches Wissen verschafften ihm die Freundschaft aller, die mit ihm in Berührung kamen. 
Er leitete seine Institutionen, welche allen rituellen Verlangen Rechnung tragen, in streng traditionellem jüdischen Sinne und wirkte auch selbst in seinen eigenen Bethäusern als Vorbeter. Er hat auch zum Emporblühen unserer jungen Kultusgemeinde, der einzigen im Alto Adige, eifrigst beigetragen und ist stets Förderer aller jüdischen Bewegungen und Institutionen, Unterstützer aller Bedürftigen gewesen, die niemals sein Haus unbefriedigt verließen. 
Schon schwer leidend, hat er die Leitung des Gottesdienstes stets besorgt und sein Unternehmen in Bezug auf rituelles Gebaren gewissenhaft beaufsichtigt. 
Er hinterlässt eine tief gebeugte Familie, seine Gemahlin, die ihm jederzeit in unermüdlicher Arbeit zur Seite stand, seinen Sohn, dem er die Leitung des Unternehmens in seinem Sinne einschärfte und zwei Töchter. 
Wir alle, die sein Wesen und Wirken kannten, werden seiner stets in Ehre gedenken. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."      

    
Werbung für St. Moritz, insbesondere das Hotel Edelweiß und die Villa Heimat (1930)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Mai 1930: "St. Moritz, das einzige Bad in einer Höhe von 1800 Meter im trockensten Teil des Alpengebietes, vereinigt mit seinem strahlenreichen Alpenklima die heilsamen Wirkungen seiner drei natürlichen kohlesauren Stahlbäder. Unter den modern und bequem eingerichteten Hotels ist besonders zu nennen das Hotel Edelweiß mit der sehr schön und ruhig gelegenen Dependance Villa Heimat. Das Hotel Edelweiß wird nach gründlichen Renovierungsarbeiten und einer Vergrößerung der Gesellschaftsräume am 12. Juni wieder eröffnet. Neben seiner überaus günstigen Lage in der Nähe der Wälder, des Sees und der Bäder und seiner rituellen Küche besitzt es auch sonst alle Mittel und Annehmlichkeiten, um eine sehr empfehlenswerte Erholungsstätte zu sein."       

 
  
Weitere jüdische Einrichtungen in St. Moritz und Umgebung  
Anzeige des "Hochalpinen Jüdischen Kinderheimes und Internates Celerina bei St. Moritz (1934)         

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April 1934: "Schwester Eva Lewenstein. Leiterin des 
Hochalpinen Jüdischen Kinderheimes und Internates 
Celerina bei St. Moritz.
1750 M.ü.M. 
ist ab Sonntag den 29. April bei Dr. Ernst Freimann Frankfurt am Main, Friedberger Anlage 13, Tel. 47715 zu erreichen. Ganzjährig geöffnet. Schulunterricht auch nach Heimatpensum. Kindertransporte ab Deutschland."     

    
    
    
Fotos
(Quelle: o.g. Presseartikel in "südostschweiz.ch")     

Das "Hotel Edelweiss" in St. Moritz St Moritz HotelEdelweiss 020.jpg (77771 Byte)  
     

     
      
Links und Literatur

Links:

Website der Stadt St. Moritz   

Literatur:  

Siehe Presseartikel oben     

   

  

                    
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 14. November 2012